12 January 2012

Verkehrssysteme

Der Verkehr beeinflusst uns alle jeden Tag. Wir denken aber meistens nur daran, wenn er uns nervt oder nicht richtig funktioniert. Jede Woche fahre ich mit der U-Bahn von meiner Wohnung zu meinen Ausbildungsort und zurück, und fahre mit der Regionalbahn am Wochenende zu Verwandten, aber denke fast nie daran, dass es solche Verkehrsmittel in Minneapolis-St. Paul überhaupt nicht gibt. Die Verkehrssysteme der USA und Deutschland sind jedoch sehr unterschiedlich. Selbst wenn ich mit dem Auto fahren würde, würde ich erhebliche Unterschiede merken:

Auf amerikanischen Autobahnen, zum Beispiel, gibt es immer eine Geschwindigkeitsbegrenzung (mit Ausnahmen im dünn bevölkerten Bundesstaat Montana) von 100 bis 110 km/h, oder weniger in Städten. Sonst ist es aber weniger geregelt als auf den deutschen Autobahnen: Es gibt kein Rechtsfahrgebot und rechts überholen ist nicht im Allgemeinen verboten. In Wirklichkeit achten auch sehr wenige Fahrer strikt auf die Geschwindigkeitsbegrenzungen; es ist nicht ungewöhnlich, 20 km/h schneller zu fahren.

Der andere große Unterschied im Autoverkehr, außer dass Autofahrer in Minnesota viel öfter als in Deutschland von Handys, Kaffee, oder ähnliches vom Fahren abgelenkt sind, ist in die Form von Straßennetze auf der Stadt-Skala. Wo die meisten alten deutschen Städten ein radiales Straßenmuster mit der Altstadt in der Mitte und aufgefangene Vorstädte außen herum besitzen, haben amerikanische Städte und Vorstädte überwiegend ein rechteckiges, regelmäßiges Straßenplan. Das könnte so sein, weil viele amerikanische Städte ganz schnell gewachsen sind und daher mehr Planung im Straßennetz ging als bei den langsamer gewachsenen deutschen Städten.

Wo die Länder sich am Meisten unterscheiden ist natürlich im Schienennetz für Personenverkehr. Das deutsche Netz hat eine hohe Dichte, also sind alle Großstädte und mittelgroße Städte sowie die meisten Kleinstädten vom Schienennetz erreichbar. Züge verkehren meistens im Stunden- oder Zweistundentakt, und die ICE ermöglicht es, manche Ziele zu erreichen fast genauso schnell wie mit dem Auto.

Wie viel auch manche Leute über Verspätungen und Zugausfälle bei der DB meckern möchten, ist es immer noch besser als bei die Zuglinie die durch Minneapolis-St. Paul fährt. Züge fahren nur einmal am Tag, und Verspätungen bis zu sechs Stunden sind nicht ungewöhnlich. Insgesamt hat das amerikanische Fernverkehrsschienennetz eine sehr geringe Dichte. Manche größere Städte sind nicht am Streckennetz angeschlossen und vier Bundesstaaten, inklusiv Alaska und Hawaii, haben überhaupt keine Bahnlinien. Die Fernverkehrslinie, die durch Minneapolis-St. Paul läuft, ist die einzige in Minnesota. Der Regionalverkehrsangebot ist ebenso mangelnd, mit nur einzelne S-Bahn-artige Pendelbahnlinien in den größeren Städten. Außer zwischen den Großstädten an der Ost- oder Westküste ist die Bahn fast nie eine gute Alternative zum Autofahren oder Fliegen, was eigentlich Schade ist, weil Bahn fahren meistens viel einfacher als fliegen und gemütlicher als lang im Auto fahren ist.

Der Grund für das mangelhafte amerikanische Bahnnetz ist wahrscheinlich die überwiegende Benutzung von Auto und Flugverkehr, wofür es schon recht gut ausgebaute Infrastruktur gibt. Das kann aber nicht der ganze Grund sein, weil in Deutschland Autos und Flugzeuge auch sehr häufig benutzt werden, aber (im Gegensatz zu der USA) die Bahn sich in Konkurrenz gegen diese Verkehrsmittel hält. Es kann auch sein, dass die einfache geografische Größe und relativ kleine Bevölkerungsdichte der USA etwas damit zu tun haben. Das ist sinnvoll, weil an der Ost- und Westküste der USA, wo die Bevölkerungsdichte am größten ist, das Bahnnetz auch relativ gut ausgebaut ist. Auf jeden Fall ist aber das amerikanische Schienennetz für Personenverkehr immer noch weit hinter das deutsche Netz.

Bisjetzt habe ich nur über Verkehr auf der regionalen und landesweiten Skala geschrieben. Ein anderer wichtiger Bestandteil von Verkehrsnetze sind die öffentlichen Personennahverkersmitteln in Städten. In diesen Bereich ist es schwer, landesweite Verallgemeinerungen zu machen; jede Stadt scheint eine eigenartige Lösung für ihre Verkehrsprobleme zu finden. Deshalb beschreibe ich nur als Beispiele die Verkehrssysteme von München und Minneapolis-St. Paul, weil ich viel Erfahrung mit beide habe. Der direkte Vergleich von den Städten ist aber nicht wirklich möglich, weil München eine viel größere Einwohnerzahl als Minneapolis-St. Paul hat. München hat ungefähr eine Million Einwohnern und Minneapolis-St. Paul haben zusammen ungefähr eine halbe Million Einwohnern, wobei viel mehr Leute in den großen Vorstädten, die die Städte umgeben, wohnen.

Münchens Verkehrssystem besteht aus sechs U-Bahn Linien und mehrere S-Bahn Linien. Bus und Straßenbahnen fahren in Gebiete, die nicht durch U- oder S-Bahn erreicht werden. Die Züge und Bahnhöfe sind meistens sauber und sicher, obwohl sie während der Hauptverkehrszeit ganz überfüllt werden können (glücklicherweise werden sie nie so voll wie z.B. in Tokio). Fahrradwege gibt es zusätzlich neben den meisten Straßen.

In Minneapolis-St. Paul gibt es keine wirkliche U-Bahn. Die Stadt hatte einst ein Straßenbahnnetz, dies wurde aber in den 1950er Jahren abgebaut weil ein Bussystem wirtschaftlicher schien. Neulich wird aber ein neues Stadtbahnnetz gebaut. Eine Linie gibt es bereits, die eine Vorstadt, den Flughafen, und die Innenstadt von Minneapolis verbindet, und eine zweite Linie, die die Innenstädte von Minneapolis und St. Paul verbinden soll, ist im Bau. Das ist allerdings eher eine Straßenbahn als eine U-Bahn, weil die Züge überirdisch und meistens neben Straßen fahren. Die Städte besitzen allerdings ein sehr gutes Bussystem, das fast alle Stadtteile verbindet. Für eine amerikanische Stadt ist Minneapolis-St. Paul ziemlich Fahrrad-freundlich: Es gibt sehr viele bestimmte Fahrradwege und alle Busse und Züge haben Fahrradträger. Nur die Vorstädte sind (wahrscheinlich wegen der dünnen Bevölkerungsdichte) nicht sehr gut abgedeckt. Leute die da wohnen haben meistens keine andere Wahl, als mit dem Auto zu fahren.

Es ist interessant zu sehen, wie zwei verschiedene Länder bzw. Städte an die fundamentale Aufgabe, viele Leute von einen Ort zu den Anderen zu bewegen, herangegangen sind. Es ist immer noch ein kleines Wunder, und ein Zeichen dafür, wie weit die moderne Gesellschaft mit dieser Aufgabe gekommen ist, dass ich in einen Ort im Zug einsteigen kann, fünfzehn Minuten und zehn Kilometer später aussteigen kann, diesen Vorgang jeden Tag mit hunderte oder tausende andere Leute wiederholen kann, und das Ganze überhaupt keine zweite Gedanken geben muss.

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